Victor Janukowitschs Heimatstadt ist verarmt - die Menschen hoffen auf
seinen Wahlsieg
Russende Schornsteine und schwarzer Schnee: Jenakijewo,
der Heimatort des ukrainischen PrŠsidentschaftsfavoriten Victor Janukowitsch,
ist eine ungesunde Mischung aus Sowjetunion und Manchester Kapitalismus.
Busbahnhof Donezk, 600 Kilometer sŸdšstlich von Kiew, Perron Nummer 12.
Wer nach Jenakijewo will, braucht gutes Schuhwerk. Knšcheltief stehen die
wartenden Passagiere im ungerŠumten Schneematsch.
Mit einem Kleinbus sowjetischer Bauart geht es los, Ÿber holprige
Strassen Richtung Nordost. Draussen vor den schmutzigen Fenstern zieht eine
kahle, verschneite HŸgellandschaft vorbei. Die wenigen blattlosen Birken scheinen
genauso leblos wie die Skelette zerfallener Fabriken, die vereinzelt zu sehen
sind.
Das Donezker Kohlebecken, einst ein Zentrum der sowjetischen
Schwerindustrie, macht einen depressiven Eindruck. Bei der Ankunft in
Jenakijewo - nach einer Stunde Fahrzeit - verstŠrkt sich dieser noch: Marode
Wohnblšcke dominieren das Stadtbild. Die schmutzige Luft hat sie ebenso schwarz
gefŠrbt wie den Schnee. Da und dort gibt es Tramschienen, doch darauf verkehren
lŠngst keine Strassenbahnen mehr.
Beissender Kohlegeruch steigt in die Nase. Von der etwas erhšhten
Lenin-Strasse aus fŠllt der Blick auf die qualmenden Schornsteine des
Stahlwerks. Auf der Strasse, die runter zur Fabrik fŸhrt, schwimmen …lschlieren
auf dem Schmelzwasser. GrossmŸtter bringen ihr Eingemachtes zum Markt. Sie
tasten sich vorsichtig Ÿber den vereisten Gehsteig. Aber auch fŸr die jungen
Ukrainerinnen, oft in kurze Ršcke und hochhackige Stiefel gekleidet, ist der
Weg durch den Zerfall kein Leichtes.
Armselige Gestalten in zerschundenen Kleidern schaufeln den schmutzigen
Schnee zur Seite. Aus lecken WŠrmeleitungen steigt Dampf auf zwischen den
HŠusern, die in unmittelbarer NŠhe zum HŸttenwerk noch schwŠrzer sind. Fast so
schwarz wie der Lenin vor der Fabrikpforte.
Der Vater der Oktoberrevolution ist allgegenwŠrtig. An einer GebŠudewand
des Stahlkombinats hŠngt sein Ÿbergosses Konterfei neben jenem von Karl Marx.
Der BegrŸnder der kommunistischen Idee wŸrde sich heute wohl im Grab umdrehen.
Denn die ZustŠnde in Jenakijewo erinnern stark an den unmenschlichen
Manchester-Kapitalismus, den Marx kritisierte.
Rund 5000 der insgesamt 100000 Einwohner finden im Stahlwerk Arbeit. Bis
zur Wirtschaftskrise waren es vermutlich noch 2000 bis 3000 mehr. Vor 40 Jahren
gehšrte auch Victor Janukowitsch zur Belegschaft. Der Favorit fŸr die
ukrainischen PrŠsidentschaftswahlen vom nŠchsten Sonntag wuchs in Jenakijewo in
einer Arbeiterfamilie auf.
ãEs war eine schwierige ZeitÒ, sagt der Zwei-Meter-Mann heute selbst
Ÿber seine Jugend. Die Mutter starb als Janukowitsch zwei Jahre alt war. Mit 17
wanderte er wegen Diebstahls fŸr eineinhalb Jahre in den Knast. Mit 20 wurde er
wegen schwerer Kšrperverletzung erneut verurteilt.
Doch gerade diese Herkunft von ganz unten macht Janukowitsch bei den
vorwiegend russischsprachigen Einwohnern im Osten des Landes zu ãeinem der
IhrenÒ. Im ersten Wahlgang Mitte Januar stimmten hier rund 70 Prozent der
BŸrger fŸr ihn. Landesweit waren es ãnurÒ 35 Prozent. Auch vor fŸnf Jahren
lagen die Stimmen Šhnlich verteilt. Doch nach anhaltenden Massenprotesten
musste Janukowitsch auf seinen Sieg verzichten.
WahlfŠlschung lautete der Vorwurf. Die orangene Revolution machte den
EU- und Nato-Freund Victor Juschtschenko zum PrŠsidenten. Seine Mitstreiterin
Julia Timoschenko wurde Regierungschefin. Die einstige Ikone der Revolution ist
in der Stichwahl vom Sonntag Janukowitschs Herausforderin.
Theoretisch mŸsste Janukowitsch gewinnen. Die orangenen RevolutionŠre
konnten ihre Versprechen bei weitem nicht erfŸllen. Politische InstabilitŠt und
zuletzt eine tiefe Wirtschaftskrise prŠgten ihre Regentschaft. Als Janukowitsch
diese Woche bei einem Wahlkampfauftritt in seiner Heimatstadt durch die
jubelnde Menge ging, zupfte ihn eine zornige BŸrgerin am €rmel: ãWarum gibt es
in Jenakijewo kein TramÒ, wollte sie wissen. ãFragen sie JuliaÒ, antwortete der
59-JŠhrige.
Der einst passionierte Rallye-Fahrer blendet dabei allerdings
Wesentliches aus. Seine Heimatstadt und das ganze Donezker Gebiet befinden sich
seit vielen Jahren praktisch im Besitz von Janukowitschs Freunden und
Sponsoren. Jenakijewos BŸrgermeister war bereits in jungen Jahren ein
Untergebener des PrŠsidentschaftskandidaten. Die Stahlfabrik gehšrt dem
Oligarchen Rinat Achmetow, dem PrŠsidenten des Fussballclubs Schachtjor Donezk.
Er ist Janukowitschs wichtigster Geldgeber.
Trotzdem glauben die Menschen in Jenakijewo an eine bessere Zukunft,
sollte einer der Ihren PrŠsident werden. Die FischverkŠuferin Alina Nikolajewa
erinnert sich gerne an die Zeit vor der Revolution, als Janukowitsch
Premierminister war. ãDamals lebten wir nicht so bettelarmÒ, sagt die ethnische
Russin, die ursprŸnglich in Kasachstan geboren wurde. Jetzt kšnne sie die
Heizkosten fŸr ihre Wohnung nicht mehr bezahlen, obwohl sie jeden Morgen um
vier Uhr aufstehe. Auch bei Schnee und Regen verkauft die 53-JŠhrige an ihrem
ungedeckten Marktstand gerŠucherten Fisch.
Janukowitsch habe zwar ein paar dunkle Flecken in seiner Biographie,
gesteht Nikolajewa: ãAber er hat eben alle Stufen durchlaufen, vom Soldaten bis
zum GeneralÒ, fŸgt sie hinzu. Darauf zischt eine alte Frau, die in einem
Plastikeimer ein paar Lorbeerzweige feilbietet: ãWir stimmen fŸr unseren
Banditen.Ò