ãWir stimmen fŸr unseren BanditenÒ

Victor Janukowitschs Heimatstadt ist verarmt - die Menschen hoffen auf seinen Wahlsieg

 

Russende Schornsteine und schwarzer Schnee: Jenakijewo, der Heimatort des ukrainischen PrŠsidentschaftsfavoriten Victor Janukowitsch, ist eine ungesunde Mischung aus Sowjetunion und Manchester Kapitalismus.

 

Christian Weisflog

 

Busbahnhof Donezk, 600 Kilometer sŸdšstlich von Kiew, Perron Nummer 12. Wer nach Jenakijewo will, braucht gutes Schuhwerk. Knšcheltief stehen die wartenden Passagiere im ungerŠumten Schneematsch.

 

Mit einem Kleinbus sowjetischer Bauart geht es los, Ÿber holprige Strassen Richtung Nordost. Draussen vor den schmutzigen Fenstern zieht eine kahle, verschneite HŸgellandschaft vorbei. Die wenigen blattlosen Birken scheinen genauso leblos wie die Skelette zerfallener Fabriken, die vereinzelt zu sehen sind.

 

Das Donezker Kohlebecken, einst ein Zentrum der sowjetischen Schwerindustrie, macht einen depressiven Eindruck. Bei der Ankunft in Jenakijewo - nach einer Stunde Fahrzeit - verstŠrkt sich dieser noch: Marode Wohnblšcke dominieren das Stadtbild. Die schmutzige Luft hat sie ebenso schwarz gefŠrbt wie den Schnee. Da und dort gibt es Tramschienen, doch darauf verkehren lŠngst keine Strassenbahnen mehr.

 

Beissender Kohlegeruch steigt in die Nase. Von der etwas erhšhten Lenin-Strasse aus fŠllt der Blick auf die qualmenden Schornsteine des Stahlwerks. Auf der Strasse, die runter zur Fabrik fŸhrt, schwimmen …lschlieren auf dem Schmelzwasser. GrossmŸtter bringen ihr Eingemachtes zum Markt. Sie tasten sich vorsichtig Ÿber den vereisten Gehsteig. Aber auch fŸr die jungen Ukrainerinnen, oft in kurze Ršcke und hochhackige Stiefel gekleidet, ist der Weg durch den Zerfall kein Leichtes.

 

Lenin ist allgegenwŠrtig

 

Armselige Gestalten in zerschundenen Kleidern schaufeln den schmutzigen Schnee zur Seite. Aus lecken WŠrmeleitungen steigt Dampf auf zwischen den HŠusern, die in unmittelbarer NŠhe zum HŸttenwerk noch schwŠrzer sind. Fast so schwarz wie der Lenin vor der Fabrikpforte.

 

Der Vater der Oktoberrevolution ist allgegenwŠrtig. An einer GebŠudewand des Stahlkombinats hŠngt sein Ÿbergosses Konterfei neben jenem von Karl Marx. Der BegrŸnder der kommunistischen Idee wŸrde sich heute wohl im Grab umdrehen. Denn die ZustŠnde in Jenakijewo erinnern stark an den unmenschlichen Manchester-Kapitalismus, den Marx kritisierte.

 

Rund 5000 der insgesamt 100000 Einwohner finden im Stahlwerk Arbeit. Bis zur Wirtschaftskrise waren es vermutlich noch 2000 bis 3000 mehr. Vor 40 Jahren gehšrte auch Victor Janukowitsch zur Belegschaft. Der Favorit fŸr die ukrainischen PrŠsidentschaftswahlen vom nŠchsten Sonntag wuchs in Jenakijewo in einer Arbeiterfamilie auf.

 

ãEs war eine schwierige ZeitÒ, sagt der Zwei-Meter-Mann heute selbst Ÿber seine Jugend. Die Mutter starb als Janukowitsch zwei Jahre alt war. Mit 17 wanderte er wegen Diebstahls fŸr eineinhalb Jahre in den Knast. Mit 20 wurde er wegen schwerer Kšrperverletzung erneut verurteilt.

 

Herkunft von ganz unten

 

Doch gerade diese Herkunft von ganz unten macht Janukowitsch bei den vorwiegend russischsprachigen Einwohnern im Osten des Landes zu ãeinem der IhrenÒ. Im ersten Wahlgang Mitte Januar stimmten hier rund 70 Prozent der BŸrger fŸr ihn. Landesweit waren es ãnurÒ 35 Prozent. Auch vor fŸnf Jahren lagen die Stimmen Šhnlich verteilt. Doch nach anhaltenden Massenprotesten musste Janukowitsch auf seinen Sieg verzichten.

 

WahlfŠlschung lautete der Vorwurf. Die orangene Revolution machte den EU- und Nato-Freund Victor Juschtschenko zum PrŠsidenten. Seine Mitstreiterin Julia Timoschenko wurde Regierungschefin. Die einstige Ikone der Revolution ist in der Stichwahl vom Sonntag Janukowitschs Herausforderin.

 

Theoretisch mŸsste Janukowitsch gewinnen. Die orangenen RevolutionŠre konnten ihre Versprechen bei weitem nicht erfŸllen. Politische InstabilitŠt und zuletzt eine tiefe Wirtschaftskrise prŠgten ihre Regentschaft. Als Janukowitsch diese Woche bei einem Wahlkampfauftritt in seiner Heimatstadt durch die jubelnde Menge ging, zupfte ihn eine zornige BŸrgerin am €rmel: ãWarum gibt es in Jenakijewo kein TramÒ, wollte sie wissen. ãFragen sie JuliaÒ, antwortete der 59-JŠhrige.

 

Der einst passionierte Rallye-Fahrer blendet dabei allerdings Wesentliches aus. Seine Heimatstadt und das ganze Donezker Gebiet befinden sich seit vielen Jahren praktisch im Besitz von Janukowitschs Freunden und Sponsoren. Jenakijewos BŸrgermeister war bereits in jungen Jahren ein Untergebener des PrŠsidentschaftskandidaten. Die Stahlfabrik gehšrt dem Oligarchen Rinat Achmetow, dem PrŠsidenten des Fussballclubs Schachtjor Donezk. Er ist Janukowitschs wichtigster Geldgeber.

 

Hoffen auf ãeiner der IhrenÒ

 

Trotzdem glauben die Menschen in Jenakijewo an eine bessere Zukunft, sollte einer der Ihren PrŠsident werden. Die FischverkŠuferin Alina Nikolajewa erinnert sich gerne an die Zeit vor der Revolution, als Janukowitsch Premierminister war. ãDamals lebten wir nicht so bettelarmÒ, sagt die ethnische Russin, die ursprŸnglich in Kasachstan geboren wurde. Jetzt kšnne sie die Heizkosten fŸr ihre Wohnung nicht mehr bezahlen, obwohl sie jeden Morgen um vier Uhr aufstehe. Auch bei Schnee und Regen verkauft die 53-JŠhrige an ihrem ungedeckten Marktstand gerŠucherten Fisch.

 

Janukowitsch habe zwar ein paar dunkle Flecken in seiner Biographie, gesteht Nikolajewa: ãAber er hat eben alle Stufen durchlaufen, vom Soldaten bis zum GeneralÒ, fŸgt sie hinzu. Darauf zischt eine alte Frau, die in einem Plastikeimer ein paar Lorbeerzweige feilbietet: ãWir stimmen fŸr unseren Banditen.Ò