ãDas alte Europa muss aktiver werdenÒ

Krieg im Kaukasus Russland darf sich nicht als Sieger fŸhlen Ð meint Alexej Malaschenko im Interview

 

Werden keine Lehren aus dem Krieg in Georgien gezogen, kšnnte es bald wieder zu Gewalt kommen. Der russische Kaukasusexperte Alexej Malaschenko fordert eine aktivere Rolle fŸr das alte Europa, Anerkennung fŸr Abchasien und Samthandschuhe fŸr Russlands Diplomaten. AZ-Korrespondent Christian Weisflog hat ihn auf seiner Datscha bei Moskau zum Interview getroffen.

 

Herr Malaschenko, Sie sind selbst davon ausgegangen, dass Georgien keinen Angriff auf SŸdossetien und damit einen Krieg gegen Russland riskieren wird. Warum hat es Micheil Saakaschwili nun doch gewagt?

Ich war wirklich bis zum Schluss Ÿberzeugt, dass Russland und die USA die Konfliktparteien in letzter Minute auseinander halten werden. Aber wir dŸrfen nicht vergessen, dass Saakaschwili ein sehr emotionaler Mensch ist. Er ist ein echter RevolutionŠr, ein Robespierre. In diesem kritischen Moment hat Saakaschwili die Nerven verloren. Der georgische PrŠsident hoffte in erster Linie auf die UnterstŸtzung der USA und er glaubte an den Blitzkrieg. Zudem erwartete er keine derart heftige Reaktion von Russland.

 

Kurze Zeit sah es so aus, als wolle Russland ganz Georgien einnehmen. Warum hat PrŠsident Medwedew die Operation dann doch abgebrochen?

Aus politischen und ganz einfach militŠrischen GrŸnden. Tiflis ist eine Stadt mit 1,5 Millionen Einwohnern. Wir haben bereits Kriege in solchen StŠdten gefŸhrt: in Grosny oder 1968 in Prag. In diesem Fall wŠre Russland zu Recht international isoliert worden. Es konnte also keine andere Entscheidung geben. Sie hŠtte bloss einen Tag frŸher getroffen werden sollen.

 

Russland hat nach der Anerkennung des Kosovos seine Zusammenarbeit mit den Abchasen und SŸdosseten verstŠrkt und Georgien damit provoziert. Trifft Moskau eine Mitschuld am Krieg?

Ohne Zweifel. Russland nahm gegenŸber Georgien nie eine klare Position ein. Sie haben Kosovo erwŠhnt: Russland hat sich lautstark gegen den Krieg in Serbien und die Anerkennung des Kosovos ausgesprochen. Beide Kampagnen gingen fŸr Moskau in jeder Hinsicht verloren. Um seine eigene StŠrke zu beweisen, war Russland gezwungen, auf einen georgischen Angriff so zu reagieren. Russland musste dem Westen zeigen, dass es Gewalt anwenden kann. In erster Linie Putin und die russischen MilitŠrs hatten grosse Angst, schwach auszusehen. Sie befŸrchteten, den Respekt im Volk und vor allem im Nordkaukasus zu verlieren. Jetzt haben alle verstanden, dass Russland zuschlagen kann.

 

Moskau unterstŸtzt die abtrŸnnigen Republiken, erkennt sie aber offiziell nicht an. Welche Ziele und Interessen verfolgt Russland Ihrer Meinung nach mit dieser Politik im SŸdkaukasus wirklich?

Es geht um SelbstbestŠtigung. Dann spielt der imperialistische Geist noch immer eine Rolle, der in diesem Fall besonders auflebt. Zudem gibt es wirtschaftliche Momente: Dabei geht es nicht nur um staatliche Interessen, sondern auch die Interessen einzelner Verwaltungsapparate Ð unter anderem militŠrischer Art Ð sowie von Privatpersonen. SŠmtliche Sanatorien, Urlaubsressorts und GrundstŸcke an den abchasischen StrŠnden wurden von russischen GeschŠftsleuten aufgekauft, die enge Beziehungen zur Politik haben. Dazu gehšren MilitŠrs und Parlamentsabgeordnete.

 

Welche Rolle spielen bei Moskaus †berlegungen die nordkaukasischen Všlker, die auf Seiten der Abchasen und SŸdosseten stehen und deren Angehšrige sich teilweise als Freiwillige in den Krieg begaben?

Der Nordkaukasus ist Russlands wunder Punkt. Es findet eine Retraditionalisierung der Gesellschaft statt. Die bŸrgerliche IdentitŠt Ð also das GefŸhl zu Russland zu gehšren Ð nimmt immer mehr ab. An erster Stelle stehen die ethnische und die religišse Zugehšrigkeit. Auch wenn verstanden wird, dass ohne die russische Ordnungsmacht ein andauernder BŸrgerkrieg zwischen den Všlkern und Clans beginnen wŸrde.

 

Russland musste Georgien bestrafen, weil es sonst den Respekt im Nordkaukasus verloren hŠtte?

NatŸrlich. Weil das halbtraditionelle Gesellschaften sind, die StŠrke respektieren. Dass Moskau gegen Georgien losgeschlagen hat, ist ein Plus fŸr seine AutoritŠt im Nordkaukasus.

 

Nicht auch, weil die nord- und sŸdkaukasischen Všlker untereinander verwandt sind?

Das ist noch ein Aspekt. Dass der Nordkaukasus gegenŸber den Abchasen immer Sympathien gehegt hat, ist offensichtlich. In diesem Krieg haben sie jedoch kaum auf die freiwilligen KŠmpfer aus dem Nordkaukasus zurŸckgegriffen. Ich denke, weil sie Angst hatten, diesen Leuten Waffen zu geben. Denn wer weiss, ob sie diese danach wieder zurŸckgeben.

 

PrŠsident Medwedew hat nun erklŠrt, dass Russland jeden Entscheid des abchasischen und des sŸdossetischen Volkes Ÿber ihren Status unterstŸtzen werde. Erkennt Russland die beiden Republiken nun offiziell an?

Die Situation hat sich verŠndert, aber es ist nicht zu erwarten, dass Russland nun Abchasien und SŸdossetien umgehend anerkennt. Das ist ein viel zu grosses Risiko.

 

Welches Risiko?

Russland wird allein sein in dieser Situation. Es besteht die Gefahr der Isolation. Georgien hat in diesem Krieg zuerst zugeschlagen. Solange Russland nur reagierte, hatten alle VerstŠndnis. Aber als die russische Armee ihre Aktionen Ÿber die sŸdossetische Grenze auf ganz Georgien ausweitete, wurde Moskau zum Aggressor. Die EuropŠer Ð vor allem die Franzosen und die Deutschen Ð nehmen deshalb eine doppelbšdige Position ein: Offiziell verurteilen sie Russland natŸrlich. Aber es gibt Experten und Politiker, die sehr gut verstehen, dass es fŸr Moskau keinen anderen Weg gab. Wenn Russland seine Truppen nun schnellstmšglichst abzieht, wird der Westen VerstŠndnis zeigen.

 

Die USA und die meisten europŠischen Staaten haben den Kosovo anerkannt. Warum weigern sie sich, das gleiche im Falle Abchasiens und SŸdossetiens zu tun?

Ich verstehe die europŠische Position auch nicht. FŸr jeden neutralen Beobachter sind keine wesentlichen Unterschiede zwischen dem Kosovo, Abchasien und SŸdossetien ersichtlich.

 

Welche Rolle kšnnten dabei aus Ihrer Sicht die …l- und Gaspipelines spielen, die von Baku aus durch Georgien in den Westen fŸhren?

Dieser Aspekt sollte nicht Ÿberbewertet werden. Es gibt ein viel bedeutenderes Problem: Die Idee eines Monopols auf …l und Gas, die Russland immer noch vertritt. Daher rŸhren auch die PlŠne zur Bildung eines Gaskartells. Ein solches Monopol ist heute nicht mšglich und Moskau sollte sich deshalb diplomatischer verhalten, wenn Pipelines zur Umgehung Russlands gebaut werden. Denn sie entstehen ja aufgrund der russischen Politik und Moskaus Versuch, Gas als Waffe zu benutzen.

 

Aber kann man nicht vermuten, dass die USA und Europa in Georgien wegen der Pipelines anders denken als in Serbien?

DafŸr ist die Menge an EnergietrŠgern zu gering. Sollte Russland die Pipelines in Georgien blockieren, wŸrden die Ršhren eben woanders verlegt. …l und Gas spielen eine Rolle, aber wenn es heisst ãnur desewegenÒ, bin ich nicht einverstanden. Die Situation ist viel komplizierter.

 

Sorgt sich Russland demnach vor allem um den Nato-Beitritt Georgiens?

NatŸrlich, das ist eine prinzipielle Frage. Es geht um einen direkten Nachbarn. Der Kaukasus ist eine explosive Region. Wenn ein Staat Nato-Mitglied wird, verŠndert dies die ganze Konfiguration. Heute Georgien und morgen Aserbaidschan. Aber ich bin Ÿberzeugt, dass Georgien irgendwann Nato-Mitglied sein wird. Ausser wenn sich Russland verŠndern wŸrde und es Georgien nicht mehr zu fŸrchten brauchte. Doch das ist nun nicht mehr mšglich. Es gibt die historische Erinnerung an den Krieg und die russischen Panzer auf georgischem Territorium. Heute wŸrden in Georgien vermutlich 99 Prozent fŸr einen Nato-Beitritt stimmen.

 

Kšnnte Russland mit seinem Vorgehen den Prozess der Nato-Osterweiterung also sogar noch beschleunigt haben?

Im Nordkaukasus ist nun allen klar, dass Russland ein starkes Land ist. Aber fŸr die anderen, besonders fŸr die GUS-Staaten, ist Russland ein gefŠhrliches Land. Ich habe bereits vor dem Waffenstillstand gesagt, dass die GUS mit diesem Krieg gestorben ist. Russland blieb ganz alleine. Alle wollen nun in die Nato, das ist všllig klar. Sie werden mit dem Finger auf Russland zeigen, um aufgenommen zu werden. Russland wird gefŸrchtet, aber lediglich als Rowdy. Wir haben in der NŠhe von Tiflis Bomben abgeworfen, das war zuviel.

 

Georgien hat den Krieg jedoch begonnen. Ist fŸr den Westen eine georgische Nato-Mitgliedschaft dadurch nicht in weite Ferne gerŸckt?

Ich glaube, dass die USA sich vordergrŸndig weiter fŸr eine Nato-Mitgliedschaft Georgiens einsetzen, Tiflis jedoch faktisch hinhalten werden. Die EuropŠer werden ehrlicher sein. Aber sehr viel hŠngt auch von Russland ab. Russland, das sich als Sieger fŸhlt, sollte sich sehr zurŸckhaltend benehmen. Es muss Samthandschuhe anziehen.

 

Kšnnte dies eine Chance fŸr den neuen russischen PrŠsidenten sein, sich zu profilieren?

Genau, jetzt ist Medwedew gefragt. Wenn sie ihm die Mšglichkeit geben, dann wŠre das gut. Er ist ein anderer Typ als Putin, Ÿberlegter und abwŠgender. Aber dazu muss Medwedew SelbstŠndigkeit entwickeln. Doch vor dem aktuellen militaristischen Hintergrund ist das sehr schwierig. Der PrŠsident kšnnte sich als Teil einer Minderheit wieder finden. Der Krieg ist fŸr Medwedew zweifellos eine Tragšdie. Er begrenzt seine Mšglichkeiten. Vor kurzem sprach er noch Ÿber Korruption, nannte die Summe, fŸr die man einen Sitz in der Duma kaufen kann und hat beinahe mit dem Finger auf diese Leute gezeigt. Und nun spricht er Ÿber die Konsolidierung der Nation. Das sind andere Akzente. Der Krieg macht ihn noch abhŠngiger von Putin. Denn er stŠrkt die Falken im Kreml und die sind Putin ergeben.

 

Russland wŠre es am liebsten, wenn Saakaschwili abtreten wŸrde. Wie realistisch ist das und wie stark ist Ihrer Meinung nach sein RŸckhalt in der eigenen Bevšlkerung?

Es ist noch zu frŸh, um Ÿber den RŸckhalt in der Bevšlkerung zu sprechen. Aber als Politiker, der seinem Volk die Wiedervereinigung Georgiens versprochen hatte, ist er gescheitert. Jeder weiss in Tiflis nun, dass zumindest wŠhrend der nŠchsten zwei Generationen weder Abchasien noch SŸdossetien in den georgischen Staat zurŸckkehren werden.  Auch im Westen dŸrfte man von Saakaschwili enttŠuscht sein, weil er es nicht verstanden hat, den Russen geschickt Paroli zu bieten. Moskau sollte deshalb nicht seinen RŸcktritt fordern. Er soll selbst fallen.

 

Saakaschwili hatte sich von den USA mehr UnterstŸtzung erwartet. Wird sich Georgien noch an Washington halten?

Jeder andere PrŠsident wird nun vorsichtiger sein. Saakaschwili hat sich viel zu stark auf die USA verlassen. Meiner Meinung nach sollte sich der nŠchste PrŠsident mehr Richtung Europa orientieren. Damit meine ich das gute alte Europa wie etwa Deutschland oder Frankreich. Sie verfŸgen Ÿber eine ausgewogenere Perspektive und ihnen fehlen die Ambitionen der Amerikaner. Die EuropŠer und vor allem die Deutschen haben kurz vor dem Krieg mit viel Energie versucht, das Verhandlungsformat zu Šndern und sind auch nach Abchasien gereist.  Sie hŠtten eine Chance gehabt, wŠre der Krieg nicht gewesen.

 

Aber die Abchasen haben den Plan des deutschen Aussenministers Steinmeier abgelehnt, weil er die Frage ihrer UnabhŠngigkeit offen liess.

Die Abchasen lieben es, zu handeln. Sie haben sich wahnsinnig gefreut, dass die Deutschen zu ihnen zu Besuch kamen und sie wie ein richtiger Staat behandelt wurden. Die abchasischen Unternehmer sind zudem nicht sehr zufrieden mit Russland. Die Russen haben fast alles aufgekauft.

 

Aber am Ende dachte auch Steinmeier, dass Abchasien zu Georgien zurŸckkehren sollte.

Er dachte das nicht, er ist intelligent. Er musste den Prozess beginnen und wusste, dass die Abchasen seinen Plan ablehnen wŸrden. Er hat den Wagen ins Rollen gebracht. Und Russland hat sich dazu sehr listig verhalten. Es hiess den Steinmeier-Plan gut und drŠngte Abchasien dazu, ihn abzulehnen. Alle Experten verstehen sehr gut, dass Abchasien niemals mehr ein Teil Georgiens sein wird. Niemals. Die einzige, aber undenkbare Variante wŠre ein Abchasien ohne Abchasen, das dann von Georgiern besiedelt wŸrde.

 

Dann muss man es anerkennen.

Man muss eine Form der Anerkennung finden. Es gab vor dem Krieg die Idee, Abchasien zu einem europŠischen Protektorat zu machen. Gewisse Elemente dieser Variante werden vermutlich erneut aufkommen. Ich denke, am Ende wird Europa Abchasien anerkennen oder es wird ein europŠisches Protektorat. Aber das gilt nur fŸr Abchasien. In SŸdossetien ist die Situation anders, dort gibt es ein getrenntes Volk.

 

Wird sich SŸdossetien Russland anschliessen?

Das ist ein Thema fŸr ein eigenes Interview. Wenn viele FlŸchtlinge nicht zurŸckkehren und in Nordossetien bleiben, kann das den Konflikt zwischen Osseten und Inguschen im Nordkaukasus erneut verschŠrfen. 1993 beim letzten Krieg waren die SŸdosseten sehr aktiv. Viele SŸdosseten liessen sich in Nordossetien nieder, kauften Wohnungen und die Einheimischen beklagen sich darŸber. Auch dort ist es nicht einfach. Jetzt mŸssen wir abwarten, wie Russland mit der EU und den USA verhandeln wird.

 

Was mŸsste nun geschehen, um einen stabilen Frieden zu erreichen?

Er ist bereits erreicht. Georgien hat keine Kraft mehr, um Gegenwehr zu leisten. Es wird fŸr Georgien also ein sehr schwerer Frieden werden. Ein Friede, in dem besonders die Abchasen Provokationen starten kšnnten. Es gibt die Idee einer Konferenz. Aber auf diese Konferenz mŸsste man alle einladen: Deutsche, Franzosen, Amerikaner, Russen, Abchasen, SŸdosseten, Georgier, Armenier oder auch die Ukrainer. Man muss mehr miteinander sprechen und in gewisser Weise das Format der FriedensgesprŠche Šndern. In erster Linie braucht es eine gršssere AktivitŠt Europas. Im Prinzip sollte der Prozess wieder aufgenommen werden, der durch diesen Krieg unterbrochen wurde. Hauptsache, die Maschine bleibt am Laufen, auch wenn die einen die anderen nicht anerkennen wollen. Aber ob Russland darauf eingehen wird, weiss ich nicht.

 

Was will denn Russland?

Russland freut sich, dass es einen Krieg gewonnen hat. Es will zeigen, dass es stark ist. Aber gleichzeitig weiss es, dass es gewisse Grenzen gibt. Formal kehrt Moskau zu dem zurŸck, was war, aber als Sieger. Russland ist ein Land, das noch nie aus den eigenen Erfahrungen gelernt hat. Das ist Teil unserer politischen Kultur.

 

Besteht dann nicht die Gefahr, dass die Territorialkonflikte erneut eingefroren werden bis irgendwann der nŠchste Krieg beginnt?

Ja, aber in den kommenden Jahren wird dieser Krieg nicht sein. Bis dahin haben sich in Georgien und auch in den USA die Regierungen verŠndert. Wir wissen nicht, wie das VerhŠltnis zwischen Putin und Medwedew sein wird. Es werden keine anderen Staaten sein, aber die herrschenden Eliten werden sich geŠndert haben. Wenn heute in Georgien zum Beispiel die ehemalige Parlamentssprecherin Nino Burdschanadse an der Macht gewesen wŠre, hŠtte es diesen Krieg nicht gegeben. Der Faktor Saakaschwili war entscheidend.