Eine Parade fŸr die russische Seele

Russland lŠsst die Muskeln spielen und Ÿberspielt eigene SchwŠchen

 

Russland feierte gestern den Sieg Ÿber Hitler-Deutschland fast wie im Kalten Krieg Ð mit Panzern und Raketen. Die Machtdemonstration soll innenpolitisch IdentitŠt stiften und aussenpolitisch fŸr Respekt sorgen. FŸr eine umfangreiche AufrŸstung im alten Stil fehlt dem Staat jedoch schlicht das Geld.

 

Christian Weisflog

 

So hat es seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht mehr Ÿber den Roten Platz gehallt: ãHurraaaÒ brŸllten 8000 Soldatenkehlen immer wieder in einem mŠchtigen Chor. Danach fuhren rund 200 schwere GeschŸtze Ÿber den Roten Platz und 30 Kampfjets Ð darunter auch ein strategischer Langstreckenbomber Ð setzten zum Tiefflug an.

 ãUnd nun, die wohl schšnste Teilnehmerin der ParadeÒ, frohlockte die Fernsehmoderatorin mit stolzer Inbrunst, ãdie Topol-MÒ. Die Rede ist von einer enorm tšdlichen Atomrakete, die gestern zu beschwingter Marschmusik Ÿber den Roten Platz rollte. Gut 20 Meter lang ist die Topol, rund 50 Tonnen schwer und mit Mehrfachsprengkšrpern bestŸckt, die Ziele in 10000 Kilometer Entfernung treffen kšnnen.

 

Waffen mit Heiligenschein

FŸr den westeuropŠischen Zuschauer mag die Begeisterung der Moderatorin schwer zu begreifen sein, doch sie widerspiegelt das seltsam anmutende VerhŠltnis der Russen zu Waffen. Ein VerhŠltnis ohne BerŸhrungsŠngste: Wo auch immer im šffentlichen Raum ein alter Panzer oder ein Flugzeug ausgestellt ist, sie sind ein Šusserst beliebter Hintergrund fŸr Fotos Ð selbst fŸr ein Hochzeitspaar. Der tšdlichen Technik haftet beinahe ein sakraler Status an, der heute auch von der orthodoxen Kirche gestŸtzt wird. So fand etwa im vergangenen Jahr zu Ehren des 60-jŠhrigen Bestehens der russischen AtomstreitkrŠfte in der Moskauer Christus-Erlšser-Kathedrale ein Gottesdienst statt. 

 

Es erstaunt daher nicht, dass die Ÿberwiegende Mehrheit der russischen Bevšlkerung Wladimir Putins Entscheid begrŸsste, am gestrigen 9. Mai Ð dem 63. Jahrestag des Sieges Ÿber Hitler-Deutschland Ð erstmals seit 1990 wieder Raketen und Panzer Ÿber den Roten Platz rollen zu lassen. Der neue russische PrŠsident Dmitrij Medwedew bezeichnete den Feiertag in seiner Rede als ãSymbol der nationalen EinheitÒ. Und tatsŠchlich dŸrfte sich in Russland kein besseres Datum finden, um im Vielvšlkerstaat Eintracht zu stiften und den Stolz auf das in jŸngster Geschichte so geschmŠhte Vaterland zu nŠhren. Das erlittene Leid verbindet bis heute. 20 bis 30 Millionen Opfer forderte der Krieg. Es gibt praktisch keine russlŠndische Familie, welcher ethnischen Herkunft auch immer, die nicht betroffen war. Am 9. Mai kšnnen sich alle in den Armen liegen und sich als Sieger Ÿber den Faschismus, das Bšse schlechthin, fŸhlen.

 

Die Schattenseiten der Vergangenheit, denen man sich in den 90er Jahren teilweise gestellt hatte, werden hingegen wieder ausgeblendet. Medwedew pries gestern den ãRuhm der BefreiungsarmeeÒ, ohne die nachfolgende Besatzung Osteuropas oder die Gewalt des sowjetischen Regimes gegen die eigenen BŸrger zu erwŠhnen. Die RŸckkehr von Panzern kann daher als ein weiteres Element, des von Putin eingeleiteten Geschichtsrevisionismus verstanden werden.

 

 Russlands neuer PrŠsident, der bisher eher durch sanfte und liberale Tšne auffiel, nutzte den Rahmen fŸr markigere Worte. In Anspielung an die Kosovo-Politik des Westens verurteilte Medwedew die ãEinmischung in die Angelegenheiten anderer StaatenÒ sowie die ãRevidierung von StaatsgrenzenÒ. Aussenpolitisch ist die RŸckkehr der Panzer wohl als weiterer Schritt zu verstehen, mit dem sich Russland einerseits vom Westen emanzipieren und andererseits international mehr Gewicht verschaffen will. Die Parade reiht sich ein in Putins MŸnchen-Rede, die Suspendierung des KSE-AbrŸstungsvertrages oder die Wiederaufnahme strategischer PatrouillenflŸge mit Langstreckenbombern.

 

Teil der ãKraftdiplomatieÒ

Obwohl Moskau dabei durchaus mit den latenten €ngsten im Westen vor einem neuen Kalten Krieg spielt, scheint ein neues WettrŸsten jedoch unrealistisch. Mit der ãKraftdiplomatieÒ wolle Russland fŸr sich lediglich vorteilhafte Bedingungen fŸr eine Zusammenarbeit schaffen, erklŠrt der russische Sicherheitsexperte Dmitrij Trenin vom Moskauer Carnegie-Institut. Er sieht sein Heimatland durchaus erstarkt, doch zieht er keine Parallelen zum Kalten Krieg, sondern zur Realpolitik des 19. Jahrhunderts ãals die GrossmŠchte gleichzeitig Partner und GegnerÒ waren.

 

TatsŠchlich befinden sich die russischen StreitkrŠfte immer noch in einem desolaten Zustand. Die RŸstungsindustrie lebt vor allem vom ExportgeschŠft, wŠhrend das zunehmend gršssere Verteidigungsbudget im korrupten und bis heute unreformierten Armeeapparat versickert. Bezeichnend dafŸr ist die Geschichte des neusten Atom-U-Boots. Dieses wurde im April 2007 und in diesem Februar gleich zweimal medial inszeniert zu Wasser gelassen, um dem Volk die wachsende Schlagkraft der StreitkrŠfte zu suggerieren. Eine umfassende Modernisierung der Armee, so stellt eine Analyse des Kieler Instituts fŸr Sicherheitspolitik fest, Ÿbersteige Russlands finanzielle Mšglichkeiten unabhŠngig von den Mehreinnahmen aus dem Erdšlexport.

 

Der russische Sicherheitsexperte Pawel Felgengauer schreibt, dass Russlands Elite in Falken und Pragmatiker gespalten sei, genau wie Wladimir Putins Persšnlichkeit: ãIn seinem Herzen wŸnschte er sich fŸr Russland den Supermachtstatus des Sowjetimperiums zurŸck, aber sein Checkbuch mahnt ihn zu ZurŸckhaltung (gegenŸber dem Westen) und zu wirtschaftlicher Zusammenarbeit.Ò