Aus dem Krieg kehrt niemand zurŸck
Vor 20 Jahren verlie§en die
Sowjet-Soldaten Afghanistan, in ihren Kšpfen sind sie immer noch dort
In den Gedanken der sowjetischen Afghanistan-Veteranen
ging der Krieg nie zu Ende. Viele nahmen sich das Leben, andere teilen ihren
Schmerz in Internet-Foren und einige kehren gar nach Kabul zurŸck.
Christian Weisflog
Knapp drei Jahrzehnte ist es her, da
begann sich die Geschichte in Afghanistan im Kreis zu drehen. Genau wie der
Einmarsch der Nato-Truppen vor acht Jahren war auch die sowjetische Invasion im
Dezember 1979 als kurzfristige Operation gedacht, um die kommunistische Partei
im BŸrgerkrieg zu unterstŸtzen. ãIn drei bis vier Monaten sollten die Truppen
wieder abziehenÒ, sagt Viktor Korgun, Afghanistan-Spezialist am Moskauer
Institut fŸr Orientalistik. Es vergingen jedoch zehn Jahre, bis die letzten
sowjetischen Soldaten am 15. Februar 1989 ihre Heimkehr antraten.
ãEs war, wie wenn man in die NŠhe
einer SchlŠgerei gerŠt und, ob man will oder nicht, darin verwickelt wirdÒ,
erzŠhlt Viktor Rudenko, der ab 1985 in einer Pioniertruppe 150 Kilometer
sŸdlich von Kabul gedient hat. Der damals 18-JŠhrige musste mit seinen
Kameraden jeweils vorausgehen, um die Stra§en von Minen zu sŠubern. Wenige
Wochen vor seiner Ankunft in Afghanistan starben bei einer Explosion elf
Soldaten seiner Einheit. ãAlle ein bis zwei Monate forderte eine Miene das
Leben eines KameradenÒ, erinnert sich Rudenko.
ãFeiglinge gab es keineÒ
Insgesamt verlor die sowjetische Armee
in zehn Jahren rund 15000 Soldaten, wobei der Ernst der Lage lange Zeit vor der
heimischen …ffentlichkeit verborgen blieb. ãDie Zeitungen schrieben das eine,
doch die Situation in Afghanistan war eine ganz andereÒ, erzŠhlt Rudenko. Als
er eingezogen wurde, wusste er nicht, dass er in den Krieg geschickt wŸrde.
Viele Soldaten hŠtten gegenŸber ihren Eltern zudem verschwiegen, wo sie im
Einsatz sind. ãAber jeder hatte die WahlÒ, fŸgt der heute 42-jŠhrige Journalist
hinzu. ãIch hŠtte auch in der KŸche dienen kšnnen, doch Feiglinge gab es unter
den sowjetischen Soldaten keine.Ò
Das Fiasko in Afghanistan hat fŸr Russland
bis heute einen bitteren Nachgeschmack. Umso mehr, als Moskau und Kabul
einander zuvor freundschaftlich verbunden waren. Die UdSSR erkannte
Afghanistans UnabhŠngigkeit 1919 als erster Staat an. Das grš§te
Wasserkraftwerk des Landes, das heute wieder durch russische Spezialisten in
Stand gesetzt wird, wurde mit sowjetischer Hilfe in den 60-er-Jahren errichtet.
Mit dem Einmarsch und der Hinrichtung
von PrŠsident Hafizullah Amin wollte der Kreml die Macht der Kommunisten in
Afghanistan stŸtzen, welche diese im Zuge der Aprilrevolution 1978 Ÿbernommen
hatten. TatsŠchlich aber brachten die Sowjets damit die BŸrger des Landes gegen
sich auf: ãWir haben auf Wunsch der afghanischen Regierung intensive
KampfeinsŠtze begonnen und das Volk, das uns respektierte, wurde Schritt fŸr
Schritt zu unserem FeindÒ, meint der ehemalige Afghanistan-Kommandeur Ruslan
Auschew. Zu dieser Entwicklung trugen indessen auch die USA ihren Teil bei:
ãMoskau und Washington, schŸrten jeder auf seine Weise den islamischen
Extremismus. Ersterer provozierte seine Wiedergeburt, Letzterer finanzierte den
Aufbau seiner organisatorischen StrukturenÒ, schreibt der Asien-Experte Raschid
Karimow.
Das Sterben nach dem Krieg
Der sowjetische RŸckzug, so ist man
sich in Russland auch heute noch einig, war daher die einzige Lšsung. Doch
wŠhrend dies fŸr die Sowjetunion ein schmerzhaftes Ende bedeutete, begann fŸr
die rund 500000 Veteranen ein neuer Kampf. ãAus dem Krieg kehrt man nicht
zurŸckÒ, betont Rudenko, der momentan an einem Erinnerungsband arbeitet und Ÿber Internet regen Austausch mit
anderen Veteranen pflegt. ãDie Bilder und Gedanken gehen nicht aus dem Kopf,
weil man solche Extremsituationen wie damals im jetzigen Leben nicht mehr
durchmachtÒ, erklŠrt der zweifache Familienvater. ãDer Krieg ruft stetig.Ò
Die Veteranen kehrten zudem in ein
untergehendes Imperium und in neue Staaten zurŸck, in denen es bis heute an
einer ausreichenden medizinischen Betreuung, an ArbeitsplŠtzen und
Sozialwohnungen mangelt. In der sŸdlich von Moskau gelegenen Region Woronesch,
wo Rudenko wohnt, sind in den vergangenen 20 Jahren 500 von rund 5000 Veteranen
gestorben. Im Schnitt wurden sie knapp Ÿber 40 Jahre alt. Auf der Internetseite
artofwar.ru erzŠhlt eine Mutter die bestŸrzende Geschichte ihres Sohnes, der verheiratet
und Vater einer Tochter war: ãZwei Jahre zuvor hatte er sich ein Grab auf dem
Friedhof ausgesucht, 1996 hat er sich erschossen.Ò
RŸckkehr nach Kabul
Es gibt allerdings auch solche, die an
den Ort des Krieges zurŸckgekehrt sind. So wie der Iranist Andrej Greschnow,
der seit knapp zwei Jahren als Korrespondent fŸr eine russische
Nachrichtenagentur in Kabul arbeitet. Er habe hier viele DŽjˆ-vus, auch wenn
die Situation nun eine ganz andere sei, erzŠhlt der 41-JŠhrige. ãIn den 80er
Jahren, als ich †bersetzer in der afghanischen Armee war, gab es in Kabul in
den ganzen zehn Jahren nur vier bis fŸnf AnschlŠge.Ò Allein die Hauptstadt sei
damals von 16000 afghanischen SicherheitskrŠften geschŸtzt worden. Heute kšnne
an jeder Stra§enecke zu beliebiger Zeit ein Sprengsatz explodieren.
Von einer Niederlage der Roten Armee
in Afghanistan will Greschnow jedoch nichts wissen. Auch die These einer
zersetzenden Wirkung des opferreichen Krieges auf das sowjetische Imperium hŠlt
er fŸr falsch. Entscheidend fŸr das Ende der UdSSR ist fŸr ihn der tiefe
Erdšlpreis, fŸr den die USA gemeinsam mit den Saudis gesorgt hatten.
WŠhrend Greschnow den Abzug der
sowjetischen Truppen fŸr richtig hŠlt, bezeichnet er die Einstellung der
MilitŠrhilfe an die afghanische Regierung nach 1992 als ãVerratÒ. ãWir hŠtten
weiter Waffen und Treibstoff liefern sollenÒ, erzŠhlt der ehemalige Leutnant.
So aber seien der Triumph der ãGotteskriegerÒ und das nachmalige Chaos
besiegelt gewesen. Letzthin, so Greschnow, habe ein Afghane zu ihm gemeint:
ãHŠtten wir damals gewusst, was uns blŸht, hŠtten wir nicht gegen euch
gekŠmpft.Ò So aber dreht sich die Geschichte weiter.