Gipfel
der grossen Distanzen
Die EU und Russland suchen in Asien
nach Wegen aus der Krise
Der EU-Russland-Gipfel findet dieses Jahr in Chabarowsk
an der Grenze zu China statt. Ein informelles Nachtessen und eine Flussfahrt
sollten gestern zu Beginn fŸr gute Stimmung sorgen. Bei den derzeitigen
Differenzen wird dies aber kaum weiter helfen.
Die EU-Vertreter mŸssen immer weitere Distanzen zum Gipfeltreffen mit
ihren russischen Kollegen zurŸcklegen: Vor einem Jahr fand die Zusammenkunft erstmals
hinter dem Ural im Erdšlmekka Chanty-Mansijsk statt. Gestern nun lud Moskau
seine europŠischen GŠste fŸr zwei Tage nach Chabarowsk ein.
Die 600Õ000-Einwohner-Stadt am russisch-chinesischen Grenzfluss Amur
liegt šstlicher als Shanghai oder Seoul. Und die geographische Ausgangslage hat
durchaus symbolischen Wert, scheinen sich doch auch die Entfernungen zwischen
den politischen Standpunkten der EU und Russland stetig zu vergršssern. Bevor
seine hohen GŠste gestern eintrafen gab sich der russische PrŠsident im
GesprŠch mit Studenten in Chabarowsk denn auch betont selbstbewusst. Er machte
klar, dass das ãgrosse EuropaÒ nicht alleine auf die EU zu reduzieren sei. Denn
dieses erstrecke sich ãvom Atlantik bis in den russischen Fernen OstenÒ, meinte
Dmitrij Medwedew. Durch die weite Anreise kriegten die Gesandten aus BrŸssel
nun ãdie Gršsse Russlands zu spŸrenÒ, fŸgte der Kremlchef hinzu.
Bei schwŸlen 30 Grad Lufttemperatur trafen gestern der tschechische
PrŠsident und EU-Ratsvorsitzende Vaclav Klaus sowie der EU-Chefdiplomat Javier
Solana als erste im Fernen Osten ein. Zum spŠteren informellen Abendessen
stiessen aus BrŸssel unter anderem auch der KommissionsprŠsident JosŽ Manuel
Barosso und Energiekommissar Andris Piebalgs dazu. Medwedew empfing seine GŠste
in einem mondŠnen GŠstehaus am Zusammenfluss von Amur und Ussuri mit Blick auf
China. Nach dem Dinner war laut Programm zudem eine Schifffahrt auf dem
Grenzfluss vorgesehen, dessen WasserqualitŠt durch die chinesische Schwerindustrie
an seinem Oberlauf stark belastet ist.
Nicht minder vergiftet ist auch das VerhŠltnis zwischen der EU und
Russland. Selbst das entspannte Beisammensein vor den heutigen GipfelgesprŠchen
wird daran wenig Šndern. Einerseits gibt es zahlreiche offene Streitpunkte und
andererseits kein einziges unterschriftreifes Dokument. Aufgrund der
Differenzen ist selbst die Ausarbeitung eines neuen Partnerschaftsabkommens,
das bereits vor zwei Jahren ausgelaufen ist, in den Hintergrund getreten.
Stattdessen stehen vor allem die BekŠmpfung der Finanzkrise und das
Thema Energie im Mittelpunkt. WŠhrend die EU von Russland fordert, die
europŠische Energiecharta zu ratifizieren, bezeichnet Moskau die Vereinbarung
als ãveraltetÒ. Das Abkommen, das von allen EU-LŠndern unterstŸtzt wird, soll
fŸr einen transparenten, fairen und freien Wettbewerb im Energiehandel und
-transit sorgen. Der Kreml hingegen mšchte die monopolistische Stellung seines
Energieriesen Gasprom weiter stŠrken - von den Fšrderfeldern in Sibirien bis zu
den GaszŠhlern der europŠischen Haushalte.
Weil sich Russland stur stellt und sich im vergangenen Winter mit einem
abermaligen Gaslieferstopp als unzuverlŠssig erwiesen hat, treibt die EU die
Erschliessung alternativer Energierouten verstŠrkt voran. Im Vordergrund steht
hier die Nabucco-Pipeline, welche Europa via TŸrkei und SŸdkaukasus einen von
Russland unabhŠngigen Zugang zu den kaspischen Gasfeldern sichern soll. Diese
Ausweichtaktik der EU sorgt im Kreml jedoch wiederum fŸr €rger.
Mit dem Krieg gegen Georgien und der Besetzung der abtrŸnnigen
georgischen Provinzen Abchasien und SŸdossetien im vergangenen August hatte
Russland wohl gehofft, dass der Energiekorridor durch den SŸdkaukasus fŸr den
Westen als zu unsicher erscheinen wŸrde. Das Gegenteil scheint jedoch der Fall
zu sein. Die EU hŠlt an ihrer Partnerschaft mit Georgien und der territorialen
Einheit des Landes fest, wŠhrend Russland zunehmend als unberechenbarer
Zeitgenosse wahrgenommen wird. Auch die Hoffnung, der neue PrŠsident Medwedew
wŸrde fŸr eine liberale Wende in Moskau sorgen, hat sich zerschlagen. Mit der
kŸrzlichen Einsetzung einer staatlichen Geschichtskommission und der
Beschneidung des Verfassungsgerichts fŸhrt er sein Land derzeit eher in eine autoritŠre
Vergangenheit denn eine grosse europŠische Zukunft.