Gipfel der grossen Distanzen

Die EU und Russland suchen in Asien nach Wegen aus der Krise

 

Der EU-Russland-Gipfel findet dieses Jahr in Chabarowsk an der Grenze zu China statt. Ein informelles Nachtessen und eine Flussfahrt sollten gestern zu Beginn fŸr gute Stimmung sorgen. Bei den derzeitigen Differenzen wird dies aber kaum weiter helfen.

 

Christian Weisflog

 

Die EU-Vertreter mŸssen immer weitere Distanzen zum Gipfeltreffen mit ihren russischen Kollegen zurŸcklegen: Vor einem Jahr fand die Zusammenkunft erstmals hinter dem Ural im Erdšlmekka Chanty-Mansijsk statt. Gestern nun lud Moskau seine europŠischen GŠste fŸr zwei Tage nach Chabarowsk ein.

 

Die 600Õ000-Einwohner-Stadt am russisch-chinesischen Grenzfluss Amur liegt šstlicher als Shanghai oder Seoul. Und die geographische Ausgangslage hat durchaus symbolischen Wert, scheinen sich doch auch die Entfernungen zwischen den politischen Standpunkten der EU und Russland stetig zu vergršssern. Bevor seine hohen GŠste gestern eintrafen gab sich der russische PrŠsident im GesprŠch mit Studenten in Chabarowsk denn auch betont selbstbewusst. Er machte klar, dass das ãgrosse EuropaÒ nicht alleine auf die EU zu reduzieren sei. Denn dieses erstrecke sich ãvom Atlantik bis in den russischen Fernen OstenÒ, meinte Dmitrij Medwedew. Durch die weite Anreise kriegten die Gesandten aus BrŸssel nun ãdie Gršsse Russlands zu spŸrenÒ, fŸgte der Kremlchef hinzu.

 

Schifffahrt mit Blick auf China

 

Bei schwŸlen 30 Grad Lufttemperatur trafen gestern der tschechische PrŠsident und EU-Ratsvorsitzende Vaclav Klaus sowie der EU-Chefdiplomat Javier Solana als erste im Fernen Osten ein. Zum spŠteren informellen Abendessen stiessen aus BrŸssel unter anderem auch der KommissionsprŠsident JosŽ Manuel Barosso und Energiekommissar Andris Piebalgs dazu. Medwedew empfing seine GŠste in einem mondŠnen GŠstehaus am Zusammenfluss von Amur und Ussuri mit Blick auf China. Nach dem Dinner war laut Programm zudem eine Schifffahrt auf dem Grenzfluss vorgesehen, dessen WasserqualitŠt durch die chinesische Schwerindustrie an seinem Oberlauf stark belastet ist.

 

Nicht minder vergiftet ist auch das VerhŠltnis zwischen der EU und Russland. Selbst das entspannte Beisammensein vor den heutigen GipfelgesprŠchen wird daran wenig Šndern. Einerseits gibt es zahlreiche offene Streitpunkte und andererseits kein einziges unterschriftreifes Dokument. Aufgrund der Differenzen ist selbst die Ausarbeitung eines neuen Partnerschaftsabkommens, das bereits vor zwei Jahren ausgelaufen ist, in den Hintergrund getreten.

 

Stattdessen stehen vor allem die BekŠmpfung der Finanzkrise und das Thema Energie im Mittelpunkt. WŠhrend die EU von Russland fordert, die europŠische Energiecharta zu ratifizieren, bezeichnet Moskau die Vereinbarung als ãveraltetÒ. Das Abkommen, das von allen EU-LŠndern unterstŸtzt wird, soll fŸr einen transparenten, fairen und freien Wettbewerb im Energiehandel und -transit sorgen. Der Kreml hingegen mšchte die monopolistische Stellung seines Energieriesen Gasprom weiter stŠrken - von den Fšrderfeldern in Sibirien bis zu den GaszŠhlern der europŠischen Haushalte.

 

Russland stellt sich stur

 

Weil sich Russland stur stellt und sich im vergangenen Winter mit einem abermaligen Gaslieferstopp als unzuverlŠssig erwiesen hat, treibt die EU die Erschliessung alternativer Energierouten verstŠrkt voran. Im Vordergrund steht hier die Nabucco-Pipeline, welche Europa via TŸrkei und SŸdkaukasus einen von Russland unabhŠngigen Zugang zu den kaspischen Gasfeldern sichern soll. Diese Ausweichtaktik der EU sorgt im Kreml jedoch wiederum fŸr €rger.

 

Mit dem Krieg gegen Georgien und der Besetzung der abtrŸnnigen georgischen Provinzen Abchasien und SŸdossetien im vergangenen August hatte Russland wohl gehofft, dass der Energiekorridor durch den SŸdkaukasus fŸr den Westen als zu unsicher erscheinen wŸrde. Das Gegenteil scheint jedoch der Fall zu sein. Die EU hŠlt an ihrer Partnerschaft mit Georgien und der territorialen Einheit des Landes fest, wŠhrend Russland zunehmend als unberechenbarer Zeitgenosse wahrgenommen wird. Auch die Hoffnung, der neue PrŠsident Medwedew wŸrde fŸr eine liberale Wende in Moskau sorgen, hat sich zerschlagen. Mit der kŸrzlichen Einsetzung einer staatlichen Geschichtskommission und der Beschneidung des Verfassungsgerichts fŸhrt er sein Land derzeit eher in eine autoritŠre Vergangenheit denn eine grosse europŠische Zukunft.