Zwei
Staaten Ð ein Bruderzwist
Geld, Geopolitik und eine schwierige
Geschichte lassen sich im Gasstreit kaum trennen
Beim russisch-ukrainischen Gasstreit handelt es sich um einen Handelskonflikt, der
allerdings direkt von StaatsfŸhrern ausgetragen wird. LŠngst ist die
Auseinandersetzung zu einer Machtprobe geworden, bei der keines der slawischen
Brudervšlker das Gesicht verlieren mšchte.
Klar, es geht im Gasstreit auch um Geld. Vor allem aber darum, wie
dieses verteilt wird. Die Ukraine und ihre IndustriekapitŠne mšchten mšglichst
wenig fŸr die Lieferungen aus Russland bezahlen, Gasprom will naturgemŠss einen
mšglichst hohen Verkaufspreis erzielen.
Das wichtigste Verhandlungsargument auf ukrainischer Seite ist dabei der
Transithahn nach Europa. Rund 80 Prozent der russischen Gasexporte in die EU
fliessen durch die Ukraine. Dieses Transitmonopol setzt Kiew nun seit dem 7.
Januar gnadenlos ein: ãWir haben 17 Milliarden Kubikmeter Gas in den Speichern.
Wir brauchen uns nicht zu beeilen und kšnnen in Ruhe mit Moskau verhandelnÒ,
sagte die ukrainische Premierministerin diese Woche ganz offen.
Die technischen Probleme, welche Kiew als Grund fŸr den blockierten
Transit vorgibt, sind deshalb wenig glaubwŸrdig. Die Ukraine wird den Gasfluss
nach Europa vermutlich erst wieder zulassen, wenn eine Einigung mit Russland
Ÿber den Lieferpreis fŸr 2009 besteht. Oder aber sie verlangt von Gasprom ein
anderes Pfand: So forderte Timoschenko etwa die zusŠtzliche Lieferung von 21
Millionen Kubikmeter ãtechnischen GasesÒ, um die Verdichtungsstationen der
Pipeline zu betreiben. Man werde dieses Gas bezahlen, sobald der Preis fŸr 2009
feststehe.
Vielleicht werden sich
Timoschenko und der russische Premierminister Wladimir Putin bei ihrem heutigen
Treffen in Moskau auf einen Deal einigen. Die Frage ist jedoch, ob die
innenpolitischen Gegner der Premierministerin diesen Erfolg gšnnen werden.
Timoschenko beschuldigte diese Woche vor allem den ukrainischen Oligarchen
Dmitrij Firtasch, die kurz vor dem Abschluss stehenden Verhandlungen vor
Neujahr hintertrieben zu haben. Firtasch hŠlt 45 Prozent am GaszwischenhŠndler
RosUkrEnergo und gilt als wichtiger Sponsor der prorussischen ãPartei der
RegionenÒ. Timoschenko kŠmpft seit langem gegen RosUkrEnergo. Im Oktober kam
sie mit Putin Ÿberein, den ZwischenhŠndler, der zur HŠlfte Gasprom gehšrt,
abzuschaffen. Dies zeigt, wie eng Politik und Wirtschaft im GasgeschŠft
verbandelt sind.
Das ist in Russland nicht anders. Gasprom liefert mit seinen
Steuerzahlungen Ÿber 20 Prozent der šffentlichen Einnahmen. Der Konzern ist ein
Staat im Staat. Wer ihn und seine Finanzstršme kontrolliert, bestimmt auch die
russische Politik. Zurzeit sind dies Putin und seine Freunde, die Gasprom als
Instrument nutzen, um den Einfluss Moskaus auch in den Nachbarstaaten zurŸck zu
gewinnen. In Weissrussland etwa gelang es Gasprom, einen 50-Prozent-Anteil am
Pipeline-Betreiber ãBeltransgasÒ zu erzwingen. Minsk erhielt das Erdgas 2008
dafŸr zum Discountpreis von 127,9 Dollar pro 1000 Kubikmeter.
Doch die Ukraine ist eine hŠrtere Nuss. Wobei es eben nicht nur um Geld,
sondern auch um Geopolitik und Geschichte geht. Dies zeigt eine Fernsehepisode:
Am 22. November gedachte die Ukraine dem ãHolodomorÒ, der 1932 durch Stalins
Kollektivierung bedingten Hungersnot mit mehreren Millionen Toten. Dem Kreml,
der sich mit der Aufarbeitung des Stalinismus schwer tut, ist die ukrainische
Erinnerungskultur ein Dorn im Auge. Der russische PrŠsident Medwedew hatte dies
in einem scharfen Brief an seinen ukrainischen Amtskollegen Viktor
Juschtschenko klar gemacht. Ausgerechnet am Gedenktag dann empfing Medwedew
Gasprom-Chef Alexej Miller in seinem BŸro und beauftragte ihn vor laufenden
Kameras, die ukrainischen Gasschulden von 2,4 Milliarden Dollar einzutreiben -
koste es, was es wolle.
Angesichts der herannahenden ukrainischen PrŠsidentschaftswahlen zu Ende
dieses Jahres, scheint Moskaus KalkŸl erkennbar: Der Gasstreit soll fŸr die
derzeitige politische FŸhrung in Kiew, die ihr Land in die Nato und die EU
fŸhren mšchte, zum Debakel werden. Erhšhte Gaspreise Ð zurzeit verlangt Moskau
450 Dollar pro 1000 Kubikmeter Ð sollen das wirtschaftlich bereits schwer
angeschlagene Land hart treffen und den Unmut der WŠhler schŸren.