Medwedews zweite Chance

Die Wirtschaftskrise und Obama kšnnten Russland den Weg nach Westen ebnen

 

Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall hat Moskau seinen Platz in der neuen Weltordnung noch nicht gefunden. Das erste Treffen zwischen Barack Obama und Dmitrij Medwedew am 1. April in London kšnnte zum au§enpolitischen Wendepunkt werden, sofern der Kreml auch den Mut zu inneren Reformen aufbringt.

 

Christian Weisflog

 

Der neue US-PrŠsident Barack Obama hat Russland bekanntlich einen ãNeustartÒ in den Beziehungen beider LŠnder angeboten. Doch ist Moskau Ÿberhaupt willens und fŠhig zu einem Wandel?

 

Noch vor kurzem konnte diese Frage mit einem klaren nein beantwortet werden. Mit dem Krieg in Georgien begruben auch die letzten Optimisten ihre Hoffnungen auf eine liberale Wende unter dem neuen PrŠsidenten Dmitrij Medwedew. Als Obama in Chicago Anfang November schliesslich seinen Wahlsieg feierte, kŸndigte Medwedew die Stationierung von Raketen in Kaliningrad an. Doch dies scheint nun lange her und eindeutige Antworten auf obenstehende Frage gibt es im Zuge der globalen Wirtschaftskrise nicht mehr.

 

WidersprŸchliche Signale

 

ãDer Kreml hat viele TŸrmeÒ, lautet ein russisches Sprichwort. Es trifft auch auf die aktuelle russische Au§enpolitik zu, die einem wirren Chor mit vielen dissonanten Stimmen gleicht. Nicht selten schlŠgt dabei ein und dieselbe Person widersprŸchliche Tšne an: ãWir haben alle Mšglichkeiten, um ein neues Kapitel in den russisch-amerikanischen Beziehungen zu šffnenÒ, sagte PrŠsident Dmitrij Medwedew bei einem Treffen mit einer US-Expertengruppe Anfang MŠrz im Kreml. Nur wenige Tage spŠter jedoch bezeichnete der 43-JŠhrige die Nato als Gefahr fŸr Russland und forderte eine erhšhte Kampfbereitschaft - ãvor allem der AtomstreitkrŠfteÒ.

 

Dabei hatte die neue US-Administration kŸrzlich durchsickern lassen, dass sie 80 Prozent ihres Atomwaffenarsenals verschrotten mšchte. Auch die oben genannte Expertengruppe machte mit ihren VorschlŠgen einen grossen Schritt auf Russland zu. AngefŸhrt durch den ehemaligen Senator Chuck Hagel, der als mšglicher Verteidigungsminister fŸr Obamas Kabinett gehandelt wurde, prŠsentierten die Gesandten aus Washington dem russischen PrŠsidenten einen Bericht mit dem Titel ãDie richtige Richtung fŸr die amerikanische RusslandpolitikÒ.

 

Weniger Tempo bei Nato-Erweiterung

 

Unter anderem empfiehlt das Dokument, die geplante US-Raketenabwehr in Osteuropa gemeinsam mit Moskau zu errichten und dafŸr auch Anlagen auf russischem Territorium zu nutzen. Bei der Nato-Osterweiterung raten die Experten zu einem langsameren Tempo. Weder die Ukraine noch Georgien seien momentan fŸr einen Beitritt bereit, fŸr den es zudem auch ãkein zwingendes SicherheitsinteresseÒ gebe.

 

Im Gegenzug fŸr die amerikanischen ZugestŠndnisse erwartet das Strategiepapier von Moskau jedoch einen stŠrkeren Beistand zur Lšsung der iranischen Nuklearfrage. Einer mšglichen VerknŸpfung der Raketenabwehr mit dem iranischen Atomprogramm erteilte Medwedew allerdings bereits eine kŸhle Absage. Ein solcher Tauschhandel sei ãunproduktivÒ, meinte der russische PrŠsident.

 

 

GenerŠle verlieren Einfluss

Noch strŠubt sich Russlands FŸhrung gegen Obamas Charmeoffensive. Doch je mehr Moskau von Washington in Entscheidungsprozesse einbezogen wird, desto mehr ist der Kreml gefordert konstruktiv statt nur rein destruktiv zu agieren. Der stark gesunkene Erdšlpreis hat ãseine TŸrmeÒ zudem bereits neu geordnet. Die erste Geige spielen nicht mehr die GenerŠle, sondern die Wirtschaftsberater. Mit RŸcksicht auf das bevorstehende Gipfeltreffen in London vertagte der von Medwedew geleitete Sicherheitsrat die Verabschiedung der ãNationalen Sicherheitsstrategie bis 2020Ò ein weiteres Mal. In dem von langer Hand vorbereiteten Papier werden die USA und die Nato noch als ãGefahr der nationalen SicherheitÒ bezeichnet.

 

ãViele VorschlŠge widersprechen sich diametralÒ, gestand sogar der SekretŠr des Sicherheitsrates, der Putin-Vertraute Nikolai Patruschew. Man mŸsse die RealitŠt der globalen Wirtschaftskrise berŸcksichtigen, kommentierte der …konom Ruslan Grinberg, einer der Mitautoren, den Entscheid.

 

ãyes we canÒ klingt fŸrchterlich

 

  Wohin Russlands Reise fŸhrt, hŠngt nun ebenfalls von der persšnlichen Chemie zwischen Obama und Medwedew ab. Der Ideenaustausch mit auslŠndischen Staatschefs hatte vor 20 Jahren auch auf Michail Gorbatschow einen prŠgenden Einfluss. Allerdings kšnnte sich Medwedew dabei in einer Šhnlichen ZwickmŸhle wieder finden: Die innenpolitische Konsolidierung des autoritŠren Regimes hŠngt wesentlich vom amerikanischen Feindbild und einer rŸckwŠrtsgewandten Beschšnigung der sowjetischen Vergangenheit ab. Die russische Au§enpolitik ist somit die Geisel der inneren Machtstruktur. Will Medwedew erstere verŠndern, muss er dies auch mit letzterer tun und droht dabei selbst mit dem System und seinem Mentor Wladimir Putin unterzugehen. Obamas revolutionŠrer Slogan ãyes we canÒ klingt in den Ohren russischer Machtpolitiker fŸrchterlich.