Putin-Jugend
forscht
Bšrsenspiele,
Lagerfeuerromantik und GehirnwŠsche im Sommercamp der Kremlbewegung
Nachdem das
Gespenst einer sanften Revolution gebannt ist, will sich die kremltreue
Jugendorganisation ãNaschiÒ in ihrem Sommerlager neu erfinden und
bleibt dennoch im alten putinschen Gedankensumpf hŠngen. Ein
Besuch am Seligersee.
Sie haben die
USA zu hassen, den russisch-orthodoxen Gott zu fŸrchten und Wladimir Putin zu
lieben. Die Mitglieder der regimetreuen Jugendbewegung ãNaschiÒ (die Unsrigen)
tun dies freiwillig und nicht selten mit Begeisterung.
Den Kreml
musste Putin zwar Anfang Mai seinem Wunschnachfolger Dmitrij Medwedew
Ÿberlassen und als neuer Premierminister ins Weisse Haus umziehen. Im
Sommercamp der ãNaschiÒ ist der alte PrŠsident aber immer noch die Nummer eins.
Sein grosses Konterfei hŠngt hoch zwischen den BŠumen am Seligersee - rund 300
Kilometer nordwestlich von Moskau. Auch T-Shirts mit Putins Namen werden hier
gerne getragen.
Die eigentliche
Attraktion in diesem Jahr aber ist ein kleines Schwein. Es haust in einer
bescheidenen Bretterbude am See. Auf ihr weht die estnische Fahne und daneben
steht in einer Holztafel eingraviert: ãRufname: IlvesÒ. Gemeint ist der
estnische PrŠsident Toomas Hendrik Ilves. Seit seine Regierung es gewagt hat,
ein sowjetisches Weltkriegsdenkmal aus dem Zentrum der estnischen Hauptstadt
Tallinn in die Peripherie zu verbannen, verteufeln die Naschi die baltische
Republik als ãfaschistisches RegimeÒ.
An KreativitŠt
hat es der Kremljugend bei ihren Aktionen noch nie gemangelt Ð vielmehr
allerdings an gutem Geschmack. SpŠter am Nachmittag tanzen junge Aktivisten mit
Federschmuck und Kriegsbemalung durch das Lager: ãWir wollen den bšsen Geist
aus Ilves« Seele vertreibenÒ, rufen sie.
Ein paar
Schritte weiter verteilen zwei Naschi-Leute BŠrentatzen aus PlŸsch. Dies sei
ein Symbol fŸr den Kampf gegen die Korruption, erklŠrt der 21-jŠhrige Dmitrij
Gerzen. Auch hier eine Referenz an Putin, der zum Problem der Bestechlichkeit
russischer Staatsdiener einmal meinte: ãWir werden den Beamten die Pfoten
abhacken.Ò
Die PlŸschpfote
wirke, meint Gerzen. Auf der Fahrt zum Lager seien sie dreimal von der
Verkehrspolizei aufgehalten worden. ãWir haben mit der Pfote gewedelt und die OrdnungshŸter
haben uns mit einem Lachen weiter fahren lassenÒ, erzŠhlt Gerzen.
Sandige StrŠnde
und bewaldete Anhšhen Ð es ist eine malerische kleine Halbinsel im Seligersee,
auf der die Kremlaktivisten seit ihrer GrŸndung 2005 jedes Jahr fŸr zwei
Sommerwochen ihre Zelte aufschlagen. Die Ÿber 3000 Teilnehmer sind in Gruppen
von 20 Leuten eingeteilt, die sich gemeinsam eine Feuerstelle teilen. Sie
erhalten einfache Grundnahrungsmittel, aus denen sie ihr Essen selbst zubereiten
mŸssen.
Die meisten
sind noch Teenager und kommen Ÿberwiegend aus den šden Weiten der russischen
Provinz. Was sie jeweils im Naschi-Sommercamp geboten kriegen, davon kšnnen die
Jugendlichen in ihren kleinen StŠdten das ganze Jahr Ÿber nur trŠumen: etwa Kanu
fahren, selbst Fernsehen machen oder VortrŠgen von bekannten Politikern
lauschen, die ansonsten nur auf der Mattscheibe zu sehen sind.
Die Szenerie
gleicht einem Pfadfinderlager, indem jedoch eine ganz andere Musik gespielt
wird: ãJeden morgen um acht Uhr werden wir mit der Nationalhymne gewecktÒ,
erzŠhlt Jewgenij Kopot. Der 22-jŠhrige Geschichtsstudent ist bereits zum
vierten Mal am Seligersee mit dabei und Kommissar der Bewegung. Kommissar, das
ist die dritte Stufe in der Naschi-Hierarchie. Ihm sind die Freiwilligen und
die Aktivisten unterstellt. †ber den Kommissaren stehen nur noch die ãNational
Orientierten ManagerÒ.
Jewgenij kommt
aus Brjansk, einer Provinzhauptstadt an der Grenze zu Weissrussland. Er trŠgt
Flip-Flops, Shorts und ein T-Shirt der Naschi-Designerin Antonia Schapowalowa.
ãSich zu vermehren ist angenehm und nŸtzlichÒ, steht darauf Ð ein Beitrag zum
russischen Demografieproblem. Unter Demokratie versteht Jewgenij vor allem die
SouverŠnitŠt des Staates: ãNur wenn mein Land frei ist, kann auch ich frei
seinÒ, zitiert er aus dem Naschi-Manifest. Von der Bewegung verspricht sich der
Student auch einen Karrieresprung. Hier kšnne er Kontakte knŸpfen, die ihm
vielleicht helfen werden, eine Doktorstelle an einer Moskauer UniversitŠt zu
erhalten, meint Jewgenij.
Am Tag des
Journalistenbesuchs fŠllt die Hymne aus, dafŸr legen die einzelnen
Unterabteilungen den morgendlichen FŸnfkilometerlauf mit wehenden Fahnen
zurŸck. Die Jungs von ãNascha ArmijaÒ (Unsere Armee) schicken einen Burschen
mit Schussweste ins Rennen. ãWir bereiten ihn fŸr die Armee vorÒ, erklŠrt der
AnfŸhrer stolz. ãGrosnyj! Grosnyj!Ò, schreien derweil die tschetschenischen
BrŸder vom ãPatriotischen Klub RamsanÒ. Auf ihren Flaggen prangt das Portrait
ihres FŸhrers Ramsan Kadyrow Ð dem vom Kreml eingesetzten tschetschenischen
PrŠsidenten.
Naschi ist
nicht gleich Naschi. WŠhrend die einen in losen Gruppen joggen, stellen sich
andere in Reih und Glied. ãFormation halten Ð Ÿber die ganze Distanz!Ò, mahnt
der Befehlsgeber der ãFreiwilligen Jungen TruppeÒ (DMD) seine Viererkolonne an.
Die DMD ist die Naschi-Polizei. Sie sorgt im Lager fŸr Recht und Ordnung. Sie
kontrolliert, ob das Alkoholverbot eingehalten wird oder ob die Teilnehmer die
vorgeschriebenen Lesungen besuchen.
Lesungen, das sind in der Regel Monologe von kremltreuen Politikern, die
hier den Jugendlichen die Welt erklŠren.
Offiziell lŠuft
die Veranstaltung unter dem Titel ãallrussisches Bildungs- und
InnovationsforumÒ. Neu erfinden muss sich dabei aber vor allem Naschi selbst.
Die Organisation wurde vor vier Jahren vom Kreml initiiert - als Waffe gegen
eine sanfte Revolution demokratischer KrŠfte wie sie in der Ukraine im Nachgang
der manipulierten PrŠsidentschaftswahlen 2004 geschah. Den eigenen Jugendlichen
trichterte der Kreml ein, dass die ukrainische Opposition von den USA gekauft
seien, genau wie die russischen Regimekritiker auch.
Nun, da die
ãWahlenÒ vorbei sind und die Revolution aus blieb, braucht ãNaschiÒ eine neue
Aufgabe. Und wieder hilft ein Putin-Zitat: ãRussland soll das lebenswerteste
Land werden.Ò Das derzeitige
Zauberwort heisst daher ãModernisierungÒ. Im diesjŠhrigen Sommerlager dreht
sich fast alles um Bšrsenspiele, BusinessplŠne und Investitionsstrategien. Die
jungen Leute erarbeiten dabei eigene Projekte und befassen sich mit Themen wie
der Entwicklung von kleinen StŠdten oder der russischen Energiewirtschaft.
Das Wort
ãModernisierungÒ war allerdings bereits Lenin gelŠufig. Und wenn die Naschi
sich in ihrem Manifest als die ãAvantgarde der ModernisierungÒ bezeichnen,
erinnert dies unweigerlich an die Sprache der Bolschewiken. Auch die Definition
von Patriotismus stimmt im Hinblick auf Russlands demokratische Entwicklung
pessimistisch: ãErgebenheit seinem Lande.Ò