Putin-Jugend forscht

Bšrsenspiele, Lagerfeuerromantik und GehirnwŠsche im Sommercamp der Kremlbewegung

 

Nachdem das Gespenst einer sanften Revolution gebannt ist, will sich die kremltreue Jugendorganisation ãNaschiÒ in ihrem Sommerlager neu erfinden und bleibt dennoch im alten putinschen Gedankensumpf hŠngen. Ein Besuch am Seligersee.

 

Christian Weisflog

 

Sie haben die USA zu hassen, den russisch-orthodoxen Gott zu fŸrchten und Wladimir Putin zu lieben. Die Mitglieder der regimetreuen Jugendbewegung ãNaschiÒ (die Unsrigen) tun dies freiwillig und nicht selten mit Begeisterung.

 

Den Kreml musste Putin zwar Anfang Mai seinem Wunschnachfolger Dmitrij Medwedew Ÿberlassen und als neuer Premierminister ins Weisse Haus umziehen. Im Sommercamp der ãNaschiÒ ist der alte PrŠsident aber immer noch die Nummer eins. Sein grosses Konterfei hŠngt hoch zwischen den BŠumen am Seligersee - rund 300 Kilometer nordwestlich von Moskau. Auch T-Shirts mit Putins Namen werden hier gerne getragen.

 

Estland zur Sau gemacht

Die eigentliche Attraktion in diesem Jahr aber ist ein kleines Schwein. Es haust in einer bescheidenen Bretterbude am See. Auf ihr weht die estnische Fahne und daneben steht in einer Holztafel eingraviert: ãRufname: IlvesÒ. Gemeint ist der estnische PrŠsident Toomas Hendrik Ilves. Seit seine Regierung es gewagt hat, ein sowjetisches Weltkriegsdenkmal aus dem Zentrum der estnischen Hauptstadt Tallinn in die Peripherie zu verbannen, verteufeln die Naschi die baltische Republik als ãfaschistisches RegimeÒ.

 

An KreativitŠt hat es der Kremljugend bei ihren Aktionen noch nie gemangelt Ð vielmehr allerdings an gutem Geschmack. SpŠter am Nachmittag tanzen junge Aktivisten mit Federschmuck und Kriegsbemalung durch das Lager: ãWir wollen den bšsen Geist aus Ilves« Seele vertreibenÒ, rufen sie.

 

Ein paar Schritte weiter verteilen zwei Naschi-Leute BŠrentatzen aus PlŸsch. Dies sei ein Symbol fŸr den Kampf gegen die Korruption, erklŠrt der 21-jŠhrige Dmitrij Gerzen. Auch hier eine Referenz an Putin, der zum Problem der Bestechlichkeit russischer Staatsdiener einmal meinte: ãWir werden den Beamten die Pfoten abhacken.Ò

 

Die PlŸschpfote wirke, meint Gerzen. Auf der Fahrt zum Lager seien sie dreimal von der Verkehrspolizei aufgehalten worden. ãWir haben mit der Pfote gewedelt und die OrdnungshŸter haben uns mit einem Lachen weiter fahren lassenÒ, erzŠhlt Gerzen.

 

Opium fŸr die Provinzjugend

Sandige StrŠnde und bewaldete Anhšhen Ð es ist eine malerische kleine Halbinsel im Seligersee, auf der die Kremlaktivisten seit ihrer GrŸndung 2005 jedes Jahr fŸr zwei Sommerwochen ihre Zelte aufschlagen. Die Ÿber 3000 Teilnehmer sind in Gruppen von 20 Leuten eingeteilt, die sich gemeinsam eine Feuerstelle teilen. Sie erhalten einfache Grundnahrungsmittel, aus denen sie ihr Essen selbst zubereiten mŸssen.

 

Die meisten sind noch Teenager und kommen Ÿberwiegend aus den šden Weiten der russischen Provinz. Was sie jeweils im Naschi-Sommercamp geboten kriegen, davon kšnnen die Jugendlichen in ihren kleinen StŠdten das ganze Jahr Ÿber nur trŠumen: etwa Kanu fahren, selbst Fernsehen machen oder VortrŠgen von bekannten Politikern lauschen, die ansonsten nur auf der Mattscheibe zu sehen sind.

 

Die Szenerie gleicht einem Pfadfinderlager, indem jedoch eine ganz andere Musik gespielt wird: ãJeden morgen um acht Uhr werden wir mit der Nationalhymne gewecktÒ, erzŠhlt Jewgenij Kopot. Der 22-jŠhrige Geschichtsstudent ist bereits zum vierten Mal am Seligersee mit dabei und Kommissar der Bewegung. Kommissar, das ist die dritte Stufe in der Naschi-Hierarchie. Ihm sind die Freiwilligen und die Aktivisten unterstellt. †ber den Kommissaren stehen nur noch die ãNational Orientierten ManagerÒ.

 

Jewgenij kommt aus Brjansk, einer Provinzhauptstadt an der Grenze zu Weissrussland. Er trŠgt Flip-Flops, Shorts und ein T-Shirt der Naschi-Designerin Antonia Schapowalowa. ãSich zu vermehren ist angenehm und nŸtzlichÒ, steht darauf Ð ein Beitrag zum russischen Demografieproblem. Unter Demokratie versteht Jewgenij vor allem die SouverŠnitŠt des Staates: ãNur wenn mein Land frei ist, kann auch ich frei seinÒ, zitiert er aus dem Naschi-Manifest. Von der Bewegung verspricht sich der Student auch einen Karrieresprung. Hier kšnne er Kontakte knŸpfen, die ihm vielleicht helfen werden, eine Doktorstelle an einer Moskauer UniversitŠt zu erhalten, meint Jewgenij.  

 

Am Tag des Journalistenbesuchs fŠllt die Hymne aus, dafŸr legen die einzelnen Unterabteilungen den morgendlichen FŸnfkilometerlauf mit wehenden Fahnen zurŸck. Die Jungs von ãNascha ArmijaÒ (Unsere Armee) schicken einen Burschen mit Schussweste ins Rennen. ãWir bereiten ihn fŸr die Armee vorÒ, erklŠrt der AnfŸhrer stolz. ãGrosnyj! Grosnyj!Ò, schreien derweil die tschetschenischen BrŸder vom ãPatriotischen Klub RamsanÒ. Auf ihren Flaggen prangt das Portrait ihres FŸhrers Ramsan Kadyrow Ð dem vom Kreml eingesetzten tschetschenischen PrŠsidenten.

 

Naschi ist nicht gleich Naschi. WŠhrend die einen in losen Gruppen joggen, stellen sich andere in Reih und Glied. ãFormation halten Ð Ÿber die ganze Distanz!Ò, mahnt der Befehlsgeber der ãFreiwilligen Jungen TruppeÒ (DMD) seine Viererkolonne an. Die DMD ist die Naschi-Polizei. Sie sorgt im Lager fŸr Recht und Ordnung. Sie kontrolliert, ob das Alkoholverbot eingehalten wird oder ob die Teilnehmer die vorgeschriebenen Lesungen besuchen.  Lesungen, das sind in der Regel Monologe von kremltreuen Politikern, die hier den Jugendlichen die Welt erklŠren.

 

ãAvantgarde der ModernisierungÒ

Offiziell lŠuft die Veranstaltung unter dem Titel ãallrussisches Bildungs- und InnovationsforumÒ. Neu erfinden muss sich dabei aber vor allem Naschi selbst. Die Organisation wurde vor vier Jahren vom Kreml initiiert - als Waffe gegen eine sanfte Revolution demokratischer KrŠfte wie sie in der Ukraine im Nachgang der manipulierten PrŠsidentschaftswahlen 2004 geschah. Den eigenen Jugendlichen trichterte der Kreml ein, dass die ukrainische Opposition von den USA gekauft seien, genau wie die russischen Regimekritiker auch.

 

Nun, da die ãWahlenÒ vorbei sind und die Revolution aus blieb, braucht ãNaschiÒ eine neue Aufgabe. Und wieder hilft ein Putin-Zitat: ãRussland soll das lebenswerteste Land werden.Ò  Das derzeitige Zauberwort heisst daher ãModernisierungÒ. Im diesjŠhrigen Sommerlager dreht sich fast alles um Bšrsenspiele, BusinessplŠne und Investitionsstrategien. Die jungen Leute erarbeiten dabei eigene Projekte und befassen sich mit Themen wie der Entwicklung von kleinen StŠdten oder der russischen Energiewirtschaft.

 

Das Wort ãModernisierungÒ war allerdings bereits Lenin gelŠufig. Und wenn die Naschi sich in ihrem Manifest als die ãAvantgarde der ModernisierungÒ bezeichnen, erinnert dies unweigerlich an die Sprache der Bolschewiken. Auch die Definition von Patriotismus stimmt im Hinblick auf Russlands demokratische Entwicklung pessimistisch: ãErgebenheit seinem Lande.Ò