Prozess gegen provokative Kunst

Zwei Kuratoren drohen in Russland bis zu fŸnf Jahren GefŠngnis

 

Die Kuratoren Jurij Samodurow und Andrej Jerofejew hatten in Moskau ãverbotene KunstÒ ausgestellt. Nun stehen sie dafŸr seit gestern vor Gericht. Wegen der ãSchŸrung von religišsem HassÒ drohen ihnen bis zu fŸnf Jahren GefŠngnis.

 

Christian Weisflog

 

Wer in Russland kritische Fragen aufwirft, lebt gefŠhrlich. Das wussten auch die beiden Kuratoren Jurij Samodurow und Andrej Jerofejew als sie vor zwei Jahren im Moskauer Sachorow-Zentrum ihre Ausstellung ãVerbotene Kunst 2006Ò eršffneten. Deshalb versteckten sie die 24 brisanten Werke hinter weissen StellwŠnden. Wer einen Blick hinter die ãZensurmauerÒ erhaschen wollte, musste mit einem Auge durch kleine Lšcher linsen.

 

Ikone aus Kaviar

 

ãVerbotene KunstÒ zeigte Werke, die aufgrund ihres brisanten Inhalts 2006 von anderen russischen Museen nicht šffentlich gezeigt wurden. Zu sehen waren da etwa eine Ikone aus schwarzem Kaviar, eine Blondine unter einer …ldusche oder die ãtschetschenische MarylinÒ. Die Arbeit der sibirischen KŸnstlergruppe ãBlaue NasenÒ zeigt eine SelbstmordattentŠterin, deren schwarzer Tschador so hoch fliegt wie Marilyn Monroes Kleid in Billy Wilders Film ãDas verflixte 7. JahrÒ. An ihren verfŸhrerisch langen Beinen trŠgt sie schwarze StrŸmpfe mit weissen Totenkšpfen.

 

Die vorsichtige PrŠsentation der provokanten Kunst konnte Samodurow und Jerofejew jedoch nicht vor Ungemach bewahren. Rechtsradikale und ultraorthodoxe Vereinigungen wie etwa die ãVolkskircheÒ erstatteten bei der russischen Staatsanwaltschaft Anzeige. Kurz darauf erhob diese Anklage wegen der ãSchŸrung religišsen HassesÒ nach dem berŸchtigten Artikel 282 des russischen Strafgesetzes. Den beiden Kuratoren drohen damit bis zu fŸnf Jahren GefŠngnis. Ihre Ausstellung habe Werke gezeigt, welche die christliche Religion und ihre GlŠubigen erniedrige und beleidige, erklŠrte die Moskauer Staatsanwaltschaft gestern gegenŸber der Nachrichtenagentur RIA Nowosti mit.

 

Arbeitsstelle verloren

 

UnabhŠngig vom Prozessausgang, abgestraft wurden Samodurow und Jerofejew bereits. Letzterer verlor seine Stelle als Chefkurator fŸr Gegenwartskunst an der staatlichen Tretjakow-Galerie. Samodurow gab seinen Posten als Direktor des Sacharow-Zentrums auf, das die Ideale des Kernphysikers und NobelpreistrŠgers Andrej Sacharow zu bewahren sucht. Die Institution ãfŸr Friede, Fortschritt und MenschenrechteÒ kŠmpfte zuletzt mit grossen finanziellen Problemen. Die Gelder aus dem Westen werden immer spŠrlicher und russische Sponsoren, zu denen frŸher auch der inhaftierte Ex-Oligarch Michail Chodorkowski gehšrte, sind fŸr das regimekritische Sacharow-Zentrum kaum zu finden.

 

Unter anderem erhob die Dissidenten-Organisation stets ihre Stimme gegen den Krieg in Tschetschenien. ãEs gibt ein Putin-Russland und ein Sacharow-RusslandÒ, beliebt Samodurow gerne zu sagen. In Putins Russland werde Demokratie nur imitiert, Sacharows Russland aber stehe fŸr ein unabhŠngiges Parlament, politische Konkurrenz und freie Medien, meint der 57-JŠhrige.

 

Von der Zensur zur Selbstzensur

 

FŸr seine †berzeugungen muss sich Samodurow nicht zum ersten Mal gerichtlich verantworten. 2003 verwŸsteten orthodoxe Fundamentalisten die Ausstellung ãVorsicht ReligionÒ im Sacharow-Zentrum. Strafrechtlich verfolgt wurden danach aber nicht die Vandalen, sondern die Organisatoren der Exposition. Auch damals drohte dem Freigeist eine lange GefŠngnisstrafe, schliesslich kam er aber mit einer Geldstrafe von rund 3000 Euro davon.

 

Der Kunsthistoriker Andrej Jerofejew steht nun wegen seiner Gesinnung erstmals vor einem russischen Gericht. Sein bekannter Bruder, der Schriftsteller Viktor Jerofejew, sorgte jedoch bereits in der Sowjetunion fŸr Aufsehen. Ende der 70er Jahre war er Mitherausgeber des Literaturalmanachs Metropol, einer Sammlung verbotener Texte. DafŸr wurde er aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen.

 

Insofern erscheint die heutige ideologische Allianz zwischen Staat und Kirche kaum weniger intolerant als das spŠte Sowjetsystem, auch wenn es offiziell keine Zensurbehšrde gibt. Zur heutigen Situation der Kunst in seiner Heimat meinte Andrej Jerofejew kŸrzlich gegenŸber Spiegel Online: ãIn der Sowjetunion gab es die Zensur. In Russland gibt es die Selbstzensur.Ò