Russland lŠsst
die Muskeln spielen und Ÿberspielt eigene SchwŠchen
Russland
feierte gestern den Sieg Ÿber Hitler-Deutschland fast wie im Kalten Krieg Ð mit
Panzern und Raketen. Die Machtdemonstration soll innenpolitisch IdentitŠt
stiften und aussenpolitisch fŸr Respekt sorgen. FŸr eine umfangreiche
AufrŸstung im alten Stil fehlt dem Staat jedoch schlicht das Geld.
So hat es seit
dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht mehr Ÿber den Roten Platz gehallt:
ãHurraaaÒ brŸllten 8000 Soldatenkehlen immer wieder in einem mŠchtigen Chor.
Danach fuhren rund 200 schwere GeschŸtze Ÿber den Roten Platz und 30 Kampfjets
Ð darunter auch ein strategischer Langstreckenbomber Ð setzten zum Tiefflug an.
ãUnd nun, die wohl schšnste Teilnehmerin
der ParadeÒ, frohlockte die Fernsehmoderatorin mit stolzer Inbrunst, ãdie
Topol-MÒ. Die Rede ist von einer enorm tšdlichen Atomrakete, die gestern zu
beschwingter Marschmusik Ÿber den Roten Platz rollte. Gut 20 Meter lang ist die
Topol, rund 50 Tonnen schwer und mit Mehrfachsprengkšrpern bestŸckt, die Ziele
in 10000 Kilometer Entfernung treffen kšnnen.
FŸr den
westeuropŠischen Zuschauer mag die Begeisterung der Moderatorin schwer zu
begreifen sein, doch sie widerspiegelt das seltsam anmutende VerhŠltnis der
Russen zu Waffen. Ein VerhŠltnis ohne BerŸhrungsŠngste: Wo auch immer im
šffentlichen Raum ein alter Panzer oder ein Flugzeug ausgestellt ist, sie sind
ein Šusserst beliebter Hintergrund fŸr Fotos Ð selbst fŸr ein Hochzeitspaar.
Der tšdlichen Technik haftet beinahe ein sakraler Status an, der heute auch von
der orthodoxen Kirche gestŸtzt wird. So fand etwa im vergangenen Jahr zu Ehren
des 60-jŠhrigen Bestehens der russischen AtomstreitkrŠfte in der Moskauer
Christus-Erlšser-Kathedrale ein Gottesdienst statt.
Es erstaunt
daher nicht, dass die Ÿberwiegende Mehrheit der russischen Bevšlkerung Wladimir
Putins Entscheid begrŸsste, am gestrigen 9. Mai Ð dem 63. Jahrestag des Sieges
Ÿber Hitler-Deutschland Ð erstmals seit 1990 wieder Raketen und Panzer Ÿber den
Roten Platz rollen zu lassen. Der neue russische PrŠsident Dmitrij Medwedew
bezeichnete den Feiertag in seiner Rede als ãSymbol der nationalen EinheitÒ.
Und tatsŠchlich dŸrfte sich in Russland kein besseres Datum finden, um im
Vielvšlkerstaat Eintracht zu stiften und den Stolz auf das in jŸngster
Geschichte so geschmŠhte Vaterland zu nŠhren. Das erlittene Leid verbindet bis
heute. 20 bis 30 Millionen Opfer forderte der Krieg. Es gibt praktisch keine russlŠndische
Familie, welcher ethnischen Herkunft auch immer, die nicht betroffen war. Am 9.
Mai kšnnen sich alle in den Armen liegen und sich als Sieger Ÿber den
Faschismus, das Bšse schlechthin, fŸhlen.
Die
Schattenseiten der Vergangenheit, denen man sich in den 90er Jahren teilweise
gestellt hatte, werden hingegen wieder ausgeblendet. Medwedew pries gestern den
ãRuhm der BefreiungsarmeeÒ, ohne die nachfolgende Besatzung Osteuropas oder die
Gewalt des sowjetischen Regimes gegen die eigenen BŸrger zu erwŠhnen. Die
RŸckkehr von Panzern kann daher als ein weiteres Element, des von Putin
eingeleiteten Geschichtsrevisionismus verstanden werden.
Russlands neuer PrŠsident, der bisher
eher durch sanfte und liberale Tšne auffiel, nutzte den Rahmen fŸr markigere Worte.
In Anspielung an die Kosovo-Politik des Westens verurteilte Medwedew die
ãEinmischung in die Angelegenheiten anderer StaatenÒ sowie die ãRevidierung von
StaatsgrenzenÒ. Aussenpolitisch ist die RŸckkehr der Panzer wohl als weiterer
Schritt zu verstehen, mit dem sich Russland einerseits vom Westen emanzipieren
und andererseits international mehr Gewicht verschaffen will. Die Parade reiht
sich ein in Putins MŸnchen-Rede, die Suspendierung des KSE-AbrŸstungsvertrages
oder die Wiederaufnahme strategischer PatrouillenflŸge mit Langstreckenbombern.
Teil der
ãKraftdiplomatieÒ
Obwohl Moskau dabei durchaus mit
den latenten €ngsten im Westen vor einem neuen Kalten Krieg spielt, scheint ein
neues WettrŸsten jedoch unrealistisch. Mit der ãKraftdiplomatieÒ wolle Russland
fŸr sich lediglich vorteilhafte Bedingungen fŸr eine Zusammenarbeit schaffen,
erklŠrt der russische Sicherheitsexperte Dmitrij Trenin vom Moskauer
Carnegie-Institut. Er sieht sein Heimatland durchaus erstarkt, doch zieht er
keine Parallelen zum Kalten Krieg, sondern zur Realpolitik des 19. Jahrhunderts
ãals die GrossmŠchte gleichzeitig Partner und GegnerÒ waren.
TatsŠchlich
befinden sich die russischen StreitkrŠfte immer noch in einem desolaten
Zustand. Die RŸstungsindustrie lebt vor allem vom ExportgeschŠft, wŠhrend das
zunehmend gršssere Verteidigungsbudget im korrupten und bis heute
unreformierten Armeeapparat versickert. Bezeichnend dafŸr ist die Geschichte
des neusten Atom-U-Boots. Dieses wurde im April 2007 und in diesem Februar
gleich zweimal medial inszeniert zu Wasser gelassen, um dem Volk die wachsende
Schlagkraft der StreitkrŠfte zu suggerieren. Eine umfassende Modernisierung der
Armee, so stellt eine Analyse des Kieler Instituts fŸr Sicherheitspolitik fest,
Ÿbersteige Russlands finanzielle Mšglichkeiten unabhŠngig von den Mehreinnahmen
aus dem Erdšlexport.
Der russische
Sicherheitsexperte Pawel Felgengauer schreibt, dass Russlands Elite in Falken
und Pragmatiker gespalten sei, genau wie Wladimir Putins Persšnlichkeit: ãIn
seinem Herzen wŸnschte er sich fŸr Russland den Supermachtstatus des
Sowjetimperiums zurŸck, aber sein Checkbuch mahnt ihn zu ZurŸckhaltung
(gegenŸber dem Westen) und zu wirtschaftlicher Zusammenarbeit.Ò